Strategiepapier Inklusion

1. UN Behindertenrechtskonvention

Das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (Convention on the Rights of Persons with Disabilities – CRPD) ist ein Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde und am 3. Mai 2008 in Kraft getreten ist.
„Ausgehend vom Prinzip der Gleichberechtigung gewährleistet die UN-Behindertenrechtskonvention damit ein einbeziehendes (inklusives) Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen.
Dabei ist sicherzustellen, dass behinderte Menschen nicht aufgrund
einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden. Behinderte Kinder dürfen also nicht aufgrund ihrer Behinderung vom Besuch einer Grundschule oder einer weiterführenden Schule ausgeschlossen werden. Vielmehr soll ihnen gleichberechtigt mit anderen – nichtbehinderten – Kindern der Zugang zu einem einbeziehenden (inklusivem), hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht ermöglicht werden.

Innerhalb des allgemeinen Bildungssystems sollen angemessene Vorkehrungen getroffen und die notwendige Unterstützung geleistet werden, um eine erfolgreiche Bildung zu erleichtern.

Artikel 24 – Bildung
(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben. […]
https://www.behindertenrechtskonvention.info/

2. Inklusion in NRW

„Inklusion ist ein Schlüsselbegriff, der eine humane Gesellschaft kennzeichnet, die Verschiedenheit anerkennt und annimmt und auf einen gesamtgesellschaftlichen werteorientierten Grundkonsens zielt. In einem inklusiven Schulsystem wird das gemeinsame Leben und Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen zur Normalform“. (Bildungsportal NRW)

[…] Die Änderungsverordnung vom 24. August 2017 ermöglicht die Fortführung von öffentlichen Förderschulen und von Teilstandorten solcher Förderschulen, die die Mindestgrößen nach der Verordnung vom 16. Oktober 2013 nicht erreichen und nicht bis zum Ende des Schuljahres 2016/2017 vollständig aufzulösen waren.
Schulministerin Yvonne Gebauer erklärte: „Die Landesregierung hält Wort und schafft die Voraussetzungen für ein möglichst breites Förderschulangebot. Wir wollen Eltern eine Wahlfreiheit zwischen Regelschule und Förderschule ermöglichen.“

„[…] Als Land wollen wir den Kommunen gute Rahmenbedingungen für gute Förderschulen bieten, sodass alle Kinder und Jugendlichen bestmöglich gefördert werden können“.

„Mit Genehmigung der obersten Schulaufsichtsbehörde können Schulträger allgemeine Schulen zu Schwerpunktschulen bestimmen. Die Profilierung der Schwerpunktschule als Ort sonderpädagogischer Förderung führt zu einer Bündelung sonderpädagogischer Expertise im Kollegium dieser Schule“.

https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulpolitik/index.html

3. Inklusion in Europa

Die Umstellung auf ein inklusives Schulsystem meistert Europa mit unterschiedlichem Erfolg. Die UN-Konvention für Menschen mit Behinderung besagt, dass jedes Kind – einschließlich Kinder mit Handicap – das Recht hat, auf die Schule seiner Wahl zu gehen. Der internationale Ländervergleich zeigt: Italien ist top, Deutschland ein Flop.
Deutschland
Schleppendes Vorankommen mit dem inklusiven Unterricht. Einige Bundesländer nehmen Vorbildfunktion ein (Bremen oder Schleswig-Holstein), bei den Schlusslichtern Hamburg und Bayern gibt es hingegen noch enormen Aufholbedarf. Im Schuljahr 2009/10 besuchten in Deutschland insgesamt nur 20 Prozent der Kinder mit besonderem Förderbedarf eine Regelschule. Besonders drastisch: Mehr als die Hälfte derer, die eine Sonderschule besuchen, verlassen diese ohne Hauptschulabschluss.

http://rollingplanet.net/inklusion-in-europa-wer-es-gut-macht-wer-es-schlecht-macht/ Quelle: presse.

4. Aktion Mensch

Auf gutem Weg?
Nach einer Inspektionsreise im Frühjahr 2007 las der damalige UN-Sonderberichterstatter für Bildung, Vernor Munoz Villalobos, den Deutschen heftig die Leviten: Das dreigliedrige Schulsystem hindere viele Kinder daran, ihr Potential zu entfalten. Die Infrastruktur für Schüler mit Behinderungen sei unzulänglich. „Ich habe das Gefühl“, sagte Villalobos damals, „dass sich das deutsche Bildungssystem nicht darauf konzentriert alle einzubeziehen, sondern eher Trennungen schafft.“
Die Kritik hat gefruchtet. Seit Villalobos Besuch haben Bund, Länder und Kommunen die Frühförderung von sozial benachteiligten Kindern in Kitas vorangetrieben.
Außerdem wandeln sich immer mehr Schulen in Ganztagsschulen um, was ebenfalls schwächeren und sozial benachteiligten Kindern zugute kommt. Mehr als die Hälfte der Bundesländer hat zudem die Hauptschulen mit den Realschulen zu einer neuen Schulform verschmolzen. Dadurch soll unter anderem verhindert werden, dass man auf schwächere Schüler herab guckt und sie ausgrenzt

Deutschland ganz weit hinten
Im europäischen Vergleich belegt Deutschland in Sachen Inklusion einen der letzten Plätze. Spitzenreiter ist Island mit einer Inklusionsrate von 96 Prozent, gefolgt von Ländern wie Malta (94 Prozent) oder Norwegen (85 Prozent). Dabei stehen in Deutschland vor allem die konservativ geführten Bundesländer auf der Bremse. Zwar haben die meisten Länderparlamente die Inklusion inzwischen ins Schulgesetz geschrieben, gleichzeitig haben sie sich eine Menge Hintertüren offen gelassen, um die Förderschulen weiterhin zu erhalten.
Ähnlich verhält es sich mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz zur Inklusion. Auch der Staatenbericht, den die Bundesregierung als Unterzeichner der Behindertenrechtskonvention bei der UN abliefern musste, überzeugt die Experten nicht. Im Gegenteil: Sie gehen davon aus, dass die Bundesregierung erneut von der internationalen Staatengemeinschaft gerügt werden wird.
„Menschen mit und ohne Behinderung sollen ganz selbstverständlich zusammenleben: in der Schule, bei der Arbeit und in der Freizeit. Sie sollen selbst entscheiden, wie sie leben wollen. Und sie sollen die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten zu zeigen“

5. Inklusion in Deutschland. Daten und Fakten.

Inklusion auf Länderebene bleibt ein Flickenteppich

Von bundesweit vergleichbaren Chancen auf Teilhabe an Inklusion kann noch keine Rede sein. Unterschiedliche Förderpolitiken in den Bundesländern erschweren den Weg zum gemeinsamen Lernen und verhindern vergleichbare Chancen für alle Förderschüler in Deutschland. Während in den Stadtstaaten wie Bremen (Inklusionsanteil: 68,5 Prozent), Hamburg (59,1 Prozent) und Berlin (54,5 Prozent) oder in Schleswig-Holstein (60,5 Prozent) die Mehrheit der Förderschüler an Regelschulen lernt, sind es in Hessen (21,5 Prozent) und Niedersachsen (23,3 Prozent) weniger als ein Viertel. Auch der Anteil der Schüler, die separiert an Förderschulen unterrichtet werden, unterscheidet sich erheblich. Die Spannweite liegt hier zwischen Exklusionsquoten von 6,8 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt bis zu 1,9 Prozent in Bremen. Nicht zuletzt weichen die Förderquoten in Folge unterschiedlicher Diagnosestandards auf Landesebene stark voneinander ab. Die höchste Förderquote in Mecklenburg-Vorpommern ist mit 10,8 Prozent doppelt so hoch wie in Niedersachsen (5,3 Prozent) oder Rheinland-Pfalz (5,4 Prozent). Bei den Abschlüssen der Schüler an Förderschulen sind bundesweit ebenfalls große Unterschiede erkennbar. Während in Thüringen 54,7 Prozent dieser Schüler die Förderschulen ohne Hauptschulabschluss verlassen, sind es in Brandenburg 86,2 Prozent.

Von einem inklusiven Bildungssystem, das Förderschülern überall vergleichbare Chancen bietet, ist Deutschland also noch weit entfernt. Wir sehen vierfachen Handlungsbedarf, um das gemeinsame Lernen nachhaltig im Bildungssystem zu verankern.

„Von den Förderschülern in der Sekundarstufe lernt nur jeder Zehnte in einer Realschule oder einem Gymnasium. Inklusion findet hauptsächlich an Haupt-und Gesamtschulen statt“.

Inklusion muss im gesamten Bildungsverlauf verankert werden.

Es mag auf den ersten Blick nachvollziehbar sein, dass es Kitas und Grundschulen leichter fällt als weiterführenden Schulen oder Ausbildungsbetrieben, Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen. Aus Sicht der behinderten Kinder und Jugendlichen ist es aber nicht akzeptabel, dass Teilhabechancen mit zunehmendem Alter immer weniger werden. Wir brauchen deshalb einen neuen Fokus der Inklusionsbemühungen auf weiterführende Schulen – vor allem in den Schulformen Gymnasium und Realschule, die bisher wenig inklusiv arbeiten – und nicht zuletzt in der Ausbildung.
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_IB_Klemm-Studie_Inklusion_2015.pdf

Fazit:

Inklusion ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar!
Wenn wir den Gedanken der Inklusion ernst nehmen, müssten wir ….. das gegliederte Bildungssystem in den Blick nehmen, das „normale“ Kinder nach der vierten Klasse in Schubladen einsortiert und damit häufig Weichen fürs Leben stellt. Die Folge ist Segregation, die Entmischung der Gesellschaft, einhergehend mit sozialen Schließungen und immer homogener werdenden Mileus, die sich gegeneinander abgrenzen. Der Soziologe und Hochschullehrer Heinz Bude bringt es auf den Punkt: Das gegliederte Schulsystem reproduziert die Spaltung der Gesellschaft. Fairness?? Bude rät davon ab, panische Blicke auf die Pisa Werte zu werfen, stattdessen sollten wir uns die Frage stellen, wie viel Ungleichheit die Gesellschaft noch verträgt.

Bude, Heinz (2013) „Bildungspanik: Was unsere Gesellschaft spaltet“ Carl Hanser Verlag GmbH &Co KG

„Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast […]“ (Aktion Mensch)

https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion.html

Inklusion muss gesamtgesellschaftlich betrachtet und umgesetzt werden. Sie endet nicht mit der Grundschule. Deshalb müssen alle Schulformen quantitativ gleichwertig daran beteiligt sein, nicht nur die integrierten Schulen.
Um „allen“ Schüler*innen gerecht zu werden, ist es zwingend erforderlich Schulen künftig besser auszustatten, räumlich, sächlich und personell.
Die, von der neuen Landesregierung ausgerufene Renaissance der Förderschulen, sowie die Einrichtung von Schwerpunktschulen ist das falsche Signal und verhindert faktisch die Einführung des Gemeinsamen Lernens als „Normalform“ (vgl Bildungsportal). Damit widerspricht die aktuelle Bildungspolitik in NRW der UN Behindertenrechtskonvention.

Ausblick/ Forderungen

Inklusion ist nicht teilbar und betrifft die ganze Gesellschaft. Deshalb müssen sich auch alle Schulformen beteiligen.
Um zeitgemäß Unterricht gestalten zu können, brauchen inklusiv arbeitende Schulen mehr Differenzierungsräume.
Die Wiedereinführung eines Musterraumprogrammes sichert Mindeststandarts für die Ausstattung von Schulen sichern (Montagsstiftung)
Die Aufrechterhaltung der Doppelstruktur von Förder- und Regelschulen sorgt an den inklusiv arbeitenden Regelschulen für permanent knappe Ressourcen und Unterbesetzung. Der Anstieg der Förderquote, sowie die Wiedereröffnung von Förderschulen verschärft dieses Problem.
Lehrer*innen müssen weitergebildet und besser auf inklusiven Unterricht vorbereitet werden
Die Arbeit der Integrationshelfer*innen muss vereinheitlicht und „professionalisiert“ werden.

Wir entscheiden, in was für einer Welt wir leben wollen und müssen entsprechend handeln!