Unser Schulsystem benachteiligt die sozial Schwachen und führt zu wenig Schülerinnen und Schüler zu höheren Bildungsabschlüssen. Das wird der Bundesrepublik Deutschland durch internationale Vergleichsstudien immer wieder bestätigt. Die festgestellten Mängel „Abhängigkeit des schulischen Erfolgs von der sozialen Herkunft, Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund, schlechte weil zu frühe Entscheidung über den weiteren Bildungsweg der Kinder“ meinen viele Bildungspolitiker durch eine bessere frühkindliche Förderung und eine Verbesserung der Durchlässigkeit im dreigliedrigen Schulsystem beseitigen zu können.
Doch Nachbessern oder Schaffung von Gesamt- oder Gemeinschaftsschulen als zusätzliches Angebot neben den etablierten Schulformen sind nur Augenwischerei.
Denn dass das traditionelle dreigliedrige Schulsystem nicht effektiv ist, ist schon seit den sechziger Jahren bekannt. Schon 1964 stellte der Bildungsforscher Georg Picht fest, dass die Bundesrepublik Deutschland in der vergleichenden Schulstatistik am unteren Ende der europäischen Länder stehe.
Unser Land ist auf viele gut ausgebildete Schülerinnen und Schüler angewiesen, wenn es sich im globalen Wettbewerb behaupten, seine sozialen Sicherungssysteme erhalten und den sozialen Frieden wahren oder wieder herstellen will.
Warum klammern sich dann viele deutsche Bildungspolitiker an ein antiquiertes Schulsystem? Dieses System ist nicht gottgegeben, es ist nicht das Ergebnis zeitgemäßer pädagogischer Überlegungen oder gar lerntheoretischer Forschungen. Es hat sich zum Beispiel in Preußen nach den Vorgaben des Staates entwickelt. Dort sollte jeder Bürger entsprechend seiner Funktion im Staat ein Quantum an Bildung erhalten, der Bauer anders als der Gewerbetreibende oder der Handwerker, und diese wiederum anders als der künftige Gelehrte oder der Beamte im höheren Staatsdienst. Das Schulsystem bildete so die damaligen gesellschaftlichen Klassen ab. Wenn auch heute noch daran festgehalten wird, bedeutet das, dass dieses alte Klassendenken noch nicht überwunden worden ist.
„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ sang Franz Josef Degenhardt 1965. Gilt heute noch für viele Bundesbürgerinnen und -bürger „Lern nicht mit den Schmuddelkindern“? Versuchen hier Angehörige bildungsnäherer Schichten die Interessen ihrer Kinder zu Lasten der Interessen der Kinder bildungsfernerer Schichten durchzusetzen, lassen sich aber gleichzeitig von diesen ihre Renten und Pensionen finanzieren?
Erst wenn alle unsere Kinder länger als bisher in einer Schulform unterrichtet werden, in der sie nicht alle das Gleiche lernen, sondern in der sie individuell gefördert und gefordert werden, besteht eine Chance, Klassendenken und Klassenbildung in Deutschland aufzubrechen